Schönheitskur für den Wasserturm Schöneweide
Fast 120 Jahre alt und 30 Meter hoch ist der Wasserturm in Schöneweide: ein Hingucker, der zum einzig vollständig erhaltenen Bahnbetriebswerk Berlins gehört. Der Turm, aus dem die Dampfkessel der Lokomotiven früher ihr Frischwasser erhielten, ist derzeit eingerüstet. Bald aber kann man das frisch sanierte Bauwerk am S-Bahnhof Johannisthal bewundern. Auf die flaschengrünen Turmfenster dürfen einige junge Leute besonders stolz sein. In freiwilliger Arbeit haben sie monatelang mitgebaut.
Fachfirmen haben mit viel Fingerspitzengefühl bereits Dach und Mauerwerk des Turms saniert. Den letzten Schliff geben dem Technikdenkmal derzeit Freiwillige der Internationalen Jugendbauhütte Berlin. Sie verpassen den uralten Kastenfenstern aus Holz eine Schönheitskur – und das ist kniffliger als man ahnt.
Internationale Jugendbauhütte im Einsatz
Die Jugendbauhütten sind ein Projekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in der Trägerschaft der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (ijgd) und führen das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) in der Denkmalpflege durch. Nach dem Vorbild mittelalterlicher Bauhütten lernen junge Leute in ganz Deutschland von Meisterinnen und Meistern alte Techniken, erklärt Henrik Drewes, Chef der 2020 etablierten Berliner Jugendbauhütte. Über ihre Einsatzstellen sind Freiwillige in diesem Jahr u. a. im Prater, im Pergamon-Museum und auch beim Verein Dampflokfreunde Berlin e.V. in Schöneweide tätig.
Festes Quartier für die engagierten Denkmalpfleger
Der Verein ist überglücklich über das Engagement der jungen Leute auf dem Gelände, sagt Holger Bajohra. Der 50-jährige Jurist arbeitet selbst bei der Bahn, aber parallel ehrenamtlich sein halbes Leben lang für den Verein. Begeistert beschreibt er jeden Stein und jedes Gebäude, vor allem aber die großen Pläne: Im Backsteinbau am Fuß des Wasserturms soll ein Café entstehen. Bis 2026 werden das historische Übernachtungs- und das Dienstgebäude saniert sein, eines der beiden ist künftig festes Domizil der Jugendbauhütte und jeweils ein Jahr Zuhause für die Jugendlichen im FSJ. Danach kommt hoffentlich der Ringlokschuppen dran. Die Jugendbauhütte ergänzt als Kooperationspartner der Dampflokfreunde das entstehende Seminar- und Begegnungszentrum für Handwerk und Denkmalpflege durch einen Werkstattneubau auf dem Gelände. Gefördert wird das Projekt vom Land Berlin und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.
Echtheit bis ins Detail – und rundum nachhaltig
Noch ist es nicht so weit, die fünf derzeit in Schöneweide tätigen FSJler kommen täglich per S-Bahn zur Lehrbaustelle. Florian in der Beeck leitet dieses Team an, zu dem Antonia Blöbaum (24) und Bela Kern (19) gehören. Beide sind inzwischen Fensterfachleute und fest überzeugt: Altem stilecht neues Leben einzuhauchen ist wertvoll. In keinem Baumarkt findet man mundgeblasene Glasscheiben, Holzfenster, die tagelang mit Leinöl getränkt wurden oder Farben ohne Mikroplastik.
Tischlern, Schmieden, Verglasen
„Wenn der Beschlag an der Fensterecke 10,5 cm misst und handgeschmiedet ist, wurde er vor 1910 hergestellt“, sagt Antonia fachkundig und zeigt auf Fenstergriffe, die auf ihren Wiedereinsatz warten. „Wir machen alles selbst: befreien Holz und Metall von alten Farbschichten, schmieden verbogene Winkel wieder gerade, tischlern, verglasen, wo es nötig ist“, ergänzt Bela.Profis wie die Tischlerin Nadja Näther leisten im Verbund mit den Jungen ganze Arbeit.
Auch in den sechs Jugendbauhüttenseminaren lernen die FSJler mehr über fast vergessene Handwerkstechniken, zum Beispiel alte Farben, Drechseln, Schmieden, Bebeilen, Lehmbau und anderes. Diese Kenntnisse sind ein Schatz – und zugleich Traditionspflege.
„Junge Hände für alte Wände“
Das Motto der Jugendbauhütten in Deutschland trifft den Kern: „Junge Hände für alte Wände“. Antonia hatte bereits Innenarchitektur studiert, als sie grünes Licht für das Soziale Jahr bekam. Nun erlebt sie nachhaltiges Bauen. Das fasziniert sie so, dass sie über eine zusätzliche Tischlerlehre nachdenkt.
Ein Weg zum Traumberuf
Bela (19) hat in der Jugendbauhütte die Liebe zur Denkmalpflege entdeckt. Nach dem Abi wählte er das Freiwillige Soziale Jahr zur Orientierung. „Echt zum Aufatmen“ nach der Schulzeit und vor allem kreativ sei der Einsatz, schwärmt der Weddinger. Restaurierung, Architektur, Steinbearbeitung? Welche Richtung genau, weiß er noch nicht. Aber Denkmäler bewahren möchte er zum Beruf machen. Das ist kein Einzelfall, weiß Henrik Drewes: Weit über die Hälfte der FSJler entscheidet sich nach der Zeit in der Jugendbauhütte für einen Beruf in der Branche. Mit ihren Vorkenntnissen haben sie beste Aussichten.
So mancher Film spielt auch in Schöneweide
Im Technikdenkmal Schöneweide wartet noch viel Sanierungsarbeit. Klar, jeder Euro zählt. Wer Steinpate oder Förderer wird oder eine Fahrkarte für einen Dampfzugausflug bucht, hilft den Dampflokfreunden. Ebenso Filmteams, die gern auf dem Gelände drehen. Dutzende Male waren die Gebäude schon Kulisse für Kinofilme und Serien.
Tag des offenen Denkmals
Neugierig? Zum Tag des offenen Denkmals können sich Interessierte am 10. September 2023 im Bahnbetriebswerk Schöneweide umschauen und alle Fragen selber stellen.
Mehr unter
www.jugendbauhuetten.de
www.berlin-macht-dampf.com
fsj-denkmalpflege-bbs.ijgd.de/internationale-jugendbauhuette-berlin
Autorin: Claudia Korte
Fotos: Thomas Benz
Juni 2023